Zähl Pixel
Archiv

Bei Butsche im Old Commercial Room

Immer mit einem verschmitzten Lachen. Hamburgs Labskaus-König und Old Commercial Chef Reinhard „Butsche“ Rauch (68) an seinem „captains table“.  Fotos M. Stephan

Immer mit einem verschmitzten Lachen. Hamburgs Labskaus-König und Old Commercial Chef Reinhard „Butsche“ Rauch (68) an seinem „captains table“. Fotos M. Stephan

Altkanzler Helmut Schmidt oder Willy Brandt, Schauspieler Charlie Sheen oder George Clooney, Sänger Joe Cocker oder Jon Bon Jovi. Die Liste ist endlos. Sie alle waren schon mal in Butsche’s „Old Commercial Room“: Hamburgs urigstem Restaurant – gegenüber vom Michel, nur ein paar Schritte vom Hafen entfernt. Ein Besuch.

Dienstag, 25.02.2014, 18:29 Uhr

Die Wände des Old Commercial Room sind tapeziert mit signierten Fotos der Stars. Zum Nachlesen, wer wo gesessen hat, ist eine ganze Seite in der Speisekarte den Ehrengästen und Stammkunden gewidmet. Es sind vor allem Hamburger Persönlichkeiten, aber auch internationale Stars, die in den Old Commercial Room kommen. Die Speisekarte gibt es daher auch in mehreren Sprachen: deutsch, englisch, russisch, japanisch, chinesisch. Das gehört zum Service. Ab und an überrascht Besitzer Reinhard Paul „Butsche“ Rauch seine asiatischen Gäste auch mit Musik aus dem asiatischen Raum. „Das haut die um“, sagt er.

Butsche weiß, wie er seinen Old Commercial Room zu führen hat. Seit über 40 Jahren umsorgt er seine Gäste mit dem Flair feiner hanseatischer Gastronomie. Vorher gehörte der Laden seinem Vater. Keine Frage, dass der gelernte Schiffsmaschinenbauer das Schmuckstück nach seinem Tod weiterführt. Er kehrte zurück nach Hamburg, am nächsten Tag war er Chef.

Er ist ein Urgestein. Ein Schnacker. Ein Gastgeber. Tagtäglich sitzt er am Kapitänstisch, mit seinem großen Reservierungsbuch und seinem kleinen Hund, und behält alles im Blick. Er überprüft, was der Lieferant „denn schon wieder in die Küche bringt“, geht ans Telefon und unterhält Gäste und Personal gleichermaßen. Zwischendurch huscht seine Ehefrau Anja rein, mit der wird dann schnell der gestrige Abend resümiert. Es wurde mal wieder spät. Sie hat nichts getrunken, und weiß was geschehen ist, wer sich wie benommen hat und wer einen über den Durst getrunken hat. Butsches Erinnerungen sind weniger klar. Gut, dass es seine Anja gibt. „Wenn er anruft, sag ihm, er soll mit mir reden“, wirft sie ihm noch zu, begrüßt Stammkunde Horst Grewer und fliegt wieder davon. Sie muss weiter.

Weiter muss Reinhard Rauch nicht. Wohin auch? Direkt über seinem Restaurant, zwei Treppen hoch, ist sein Zuhause, seine Wohnung. „Was soll ich vor die Tür gehen“, fragt er sich und bleibt. Wenn überhaupt geht er mal zum Rauchen nach draußen. Aber nur abends. Ab und an ist er auch mal im benachbarten East-Hotel oder im neu eröffneten „Clouds“ zugange. Früher brachte ihn sein Hobby, die Musik, noch regelmäßig in die Stadt, ganze Nachmittage durchstöberte er alte Sammlungen von Schallplatten und CDs. Heute bestellt er sie im Internet, er weiß ja, was er will. 364 Tage im Jahr hat der Old Commercial Room geöffnet – nur an Heiligabend, seinem Geburtstag, hat das Restaurant geschlossen, dann ist Zeit für Umbauten und Reparaturen. Butsche ist immer da. Immer. Urlaub macht ja bekanntlich faul, sagt er. Sein letzter Urlaub ist 54 Jahre her. Seine Haut ist ganz hell und weiß, sagt Horst Grewer, Stammkunde.

Der gute Freund der Familie hat auf Befehl von Anja am Kapitänstisch Platz genommen und begutachtet die weiße Haut des Chefs. „Hat die gleiche Farbe wie dein Hemd“, sagt er und lacht. Grewer ist schon lange Gast und schätzt das Restaurant und seinen Gastgeber. „Alles ist hier besser“, sagt er. Er kannte noch Vater Rauch. Am 4. Mai wäre er 100 geworden. Klar, dass das mit Freunden im Old Commercial Room gefeiert wird, klar, dass auch Horst Grewer kommen darf.

Am liebsten isst Grewer Fisch, die frische große Nordsee-Seezunge nach „Müllerin Art“ oder den pochierten fangfrischen Nordsee-Schellfisch mit Kapern-Senfbutter, Gemüsejulienne und Kartoffelpüree. Er entscheidet sich für Zweiteres, dazu ein Bier und ein Plausch mit Butsche. „Hermann Rieger ist tot“, sagt Butsche. Er guckt an die Wand. Viele seiner Stammgäste sind tot, weit über 100 von denen, die mit Bild und Signatur an der Wand hängen, sind schon gestorben. „Irgendwann bist du der alte Mann“, sagt Butsche (68).

Iris bringt den Fisch. Eigentlich steht der Old Commercial Room für Labskaus, und Butsche ist der Labskaus-Botschafter, so steht es geschrieben. Der Ursprung des Gerichts liegt im Dunkeln. Doch der Old Commercial Room habe den Labskaus gesellschaftsfähig gemacht, ganz typisch hamburgisch aus gepökelter Rinderbrust, Zwiebeln und Stampfkartoffeln, flankiert mit zwei Spiegeleiern, Rote Beete und Salzgurke, sagt er. Die Rezepte stammen alle von Vater Rauch.

Reinhard Rauch erzählt es gerne: Schauspieler Mario Adorf und Filmemacher Woody Allen bestellten Fisch, und bekamen erstmal Labskaus vom Chef. Im kleinen Probierglas. Nach Butsche's Art mit Pfeffer-Crème. Die Idee zum Labskaus zum Kennenlernen hatte der Gastronom vor drei Jahren. Seither bestellen viele seiner Gäste vorweg eins seiner Gläser. Manchmal bestellt auch Butsche für seine Gäste. „Iris, bring mal ein Glas“, ruft er seiner Angestellten hinterher. Dann ruft er den Koch an, „bring mal das Eisbein nach vorne“, befiehlt er ihm. Wenig später kommt der Koch mit einem achteinhalb Kilo Eisbein und drapiert es auf einem Tisch. Die Mittagsgäste staunen nicht schlecht. Auch Horst Grewer.

„Es ist schade“, sagt Horst Grewer, „wenn Butsche nicht mehr da ist, ist's vorbei mit dem Old Commercial Room.“

Old Commercial Room, Englische Planke 10, Hamburg, 0 40 / 36 63 19, täglich geöffnet von 12 bis 24 Uhr.

Das 8 1/2 Kilogramm schwere Eisbein.

Das 8 1/2 Kilogramm schwere Eisbein.

Copyright © 2025 TAGEBLATT | Weiterverwendung und -verbreitung nur mit Genehmigung.