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Don Antonio kocht gerne laut

Gute Laune hat Antonio Baldetti in seiner Küche oft – und wenn es mal anders klingt, dann genießt er es auf jeden Fall, sein Temperament hier voll ausleben zu können. Foto: Richter

Gute Laune hat Antonio Baldetti in seiner Küche oft – und wenn es mal anders klingt, dann genießt er es auf jeden Fall, sein Temperament hier voll ausleben zu können. Foto: Richter

Antonio Baldetti hat seine Heimatstadt am Fuße des Vesuvs vor fast 50 Jahren gegen Buxtehude eingetauscht und es nicht bereut. Sein Paradies ist die Küche seines Restaurants am Fleth, sagt der Gastronom. Dabei konnte er anfangs nicht einmal kochen.

Von Anping Richter Mittwoch, 05.06.2019, 09:00 Uhr

{picture1s} Die Begrüßung ist herzlich, oft vielstimmig und unüberhörbar: Wer das „Don Antonio“ betritt, merkt gleich, dass er jetzt bei einer italienischen Familie zu Gast ist. Seit mehr als 20 Jahren betreibt Antonio Baldetti das Lokal am Fleth, inzwischen zusammen mit seinen zwei Töchtern.

Antonio Baldetti kam am 1. Januar 1957 in Neapel zur Welt. Im gleichen Jahr wurden die Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unterzeichnet. Im Leben des eben geborenen kleinen Jungen sollte das noch eine wichtige Rolle spielen, denn darin wurde auch die Freizügigkeit der Arbeitnehmer verankert.

Zwischen 1961 und 1968 trat diese Regelung schrittweise in Kraft. Von Italien, wo die Arbeitslosigkeit ein Problem war, gingen viele nach Deutschland, wo Arbeitskräftemangel herrschte. Antonio Baldettis ältere Schwester verschlug es 1968 nach Buxtehude, wo sie Arbeit in einer Fabrik für Dosenpilze bekam. 1971, als der kleine Bruder 15 war, beschloss er nach einem Besuch in Buxtehude, seiner Schwester nach Deutschland zu folgen. Es hatte ihm dort gut gefallen. „Außerdem wusste ich: Wenn ich in Deutschland bleibe, bis ich 21 bin, muss ich in Italien nicht mehr zum Militär“, berichtet Baldetti.

Wie in Italien damals üblich, besuchte er vormittags die Schule und ging nachmittags bei einem Friseur in die Lehre. In Buxtehude bekam er bald eine Lehrstelle bei Friseur Wendt in der Harburger Straße, der sich über den Azubi mit Vorbildung freute. Trotzdem war die Eingewöhnung im neuen Land nicht einfach.

„Ich habe drei Monate geweint“, erinnert sich Antonio Baldetti. Vor allem aus Langeweile: In Neapel hatte er ein geselliges Teenagerleben geführt, in Deutschland kannte er niemanden und musste erst die Sprache lernen. Doch er fand Kontakt zu anderen jungen Italienern – darunter ein Mädchen namens Leonarda. Mit ihr ist er inzwischen seit fast 40 Jahren verheiratet.

Baldetti lernte schnell Deutsch und wurde mit 18 Jahren „corresponente consolare“, also Ansprechpartner des italienischen Konsulats in Hannover für alle Italiener in Buxtehude, die er in vielen bürokratischen Dingen unterstützte. Nachdem er als Lehrling 220 Mark im Monat verdient hatte, suchte er sich lukrativere Arbeit und fand sie bei Schweppes in Buxtehude als Staplerfahrer. Auch seine Leonarda, die er am 23. August 1979 heiratete, kam dort unter.

Noch war der Plan der jungen Familie, nach Italien zurückzugehen. Sie sparten und kauften ihre erste Wohnung in Neapel. 1982 und 1984 kamen die Töchter Angela und Manuela zur Welt. „Wir gehen zurück, bevor sie zur Schule kommen“, sagten die Eltern. Doch das passierte nie, stattdessen arbeitete Antonio Baldetti in drei Jobs: neben Schweppes in der Eisdiele „Venezia“ und als Kellner in Mario Vallios Restaurant „Marco Polo“ in der Bahnhofstraße.

Als 1998 das Restaurant „Da Giovanni“ am Fleth schloss, schlug Baldetti zu. Nach harten Verhandlungen mietete er das Lokal für 5000 Mark im Monat, nannte es „Don Antonio“ und war endlich sein eigener Chef.

Eigentlich. Doch der Koch, der aus Italien kam, wollte sich nichts von ihm sagen und ihn am liebsten gar nicht in die Küche lassen. „Ich hätte ihn gerne rausgeschmissen, aber was hätte ich ohne ihn gemacht? Das wusste er ganz genau“, erzählt Baldetti. Seine Idee: Selbst kochen. Sein Problem: Das konnte er nicht.

Zu Hause in Neapel hatte immer die Mamma für ihn gekocht, später seine Schwester und dann seine Frau. Kurzerhand meldete Baldetti sich zu einem Intensivtraining in einer Gastronomieschule im apulischen Bari an, am Absatz des italienischen Stiefels.

Seiner Familie sagte er, er mache zwei Wochen alleine Urlaub vom Stress. In Wirklichkeit gab Baldetti Vollgas und stand von morgens bis abends in der Küche. Die Fensterputzer waren seine Versuchskaninchen. Als sie schließlich nur noch „Daumen hoch“ gaben, fand Baldetti, dass er sich nun den Buxtehudern stellen könnte. Als er nach zwei Wochen zurückkam, setzte er den Koch sofort vor die Tür und bezog die Küche.

„Papa, du bist nicht normal“, sagten die Töchter. „Du hast doch überhaupt keine Routine“, sagte seine Frau. Doch die kam schnell: „ Damit die Leute nicht ungeduldig werden, habe ich erst Bruschetta serviert, und wenn es noch etwas dauerte, einen kleinen Gruß aus der Küche geschickt.“ Heute ist die Küche der Ort, wo Don Antonio sich am wohlsten fühlt – und seinem Temperament gerne freien Lauf lässt.

In der Küche unterstützt ihn inzwischen einer der Schwiegersöhne, ein gelernter Koch, der übrigens auch Antonio heißt. Seine Töchter arbeiten im Service mit und werden den Laden, so hofft er, eines Tages übernehmen. Das Haus mitsamt dem Restaurant hat die Familie vor fünf Jahren gekauft, und die Chancen, dass der Name auch in der übernächsten Generation nicht geändert werden muss, stehen gut: Ein Enkel heißt auch Antonio.

Sein Großvater denkt allerdings noch lange nicht ans Aufhören. Wenn er von Tisch zu Tisch geht, und die Leute ihm sagen, dass es schmeckt, macht ihm das noch genauso große Freude wie am Anfang, sagt Antonio Baldetti. Und wenn er in den Urlaub fährt, dann in ein Hotel, in dem er den Koch kennt und in die Küche darf: „Nach einer Woche halte ich es ohne meine Pfanne nicht mehr aus.“

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