Ihre ganze Liebe gehört dem Stoff
Jessica Bartling ist seit 22 Jahren im Unternehmen, seit 2008 ist sie die Chefin.
Jessica Bartling ist Chefin der weltweit ältesten Krawattenmanufaktur in Hamburg-Bahrenfeld.
Während im Handel gerade die aktuelle Herbst/Winter-Kollektion verkauft wird, stapeln sich auf Jessica Bartlings Schreibtisch Ideen und Entwürfe, Schnittmuster und Proben zur Winterkollektion 2016/2017. Das ist in der Branche normal. Jessica Bartling weiß, was Trend wird, was nachgefragt wird – oder eben nicht.
Die Inspiration dazu findet sie zwei Mal im Jahr in Italien, dort wo sie Stoffe weben oder produzieren lässt. Doch eigentlich ist sie immer auf der Suche, „ich inspiriere mich überall“, sagt sie.
Es gibt generelle Farbtendenzen, die die Branche voraussagt, doch ob die Krawatten große oder kleine Punkte, Streifen oder Muster haben, entscheidet die Chefin. Das macht die 49-Jährige viel aus dem Bauch heraus. Das heißt nicht, dass es immer nach ihrem Geschmack geht.
In diesem Winter gibt es viele Wollkrawatten. Die Streifen sind abgelöst, dafür dominiert jetzt Mikrodesign. Mit den Jahren hat die Unternehmerin ein gutes Gefühl dafür bekommen, was gut verkauft wird. Zwei Mal im Jahr präsentiert Jessica Bartling eine neue Kollektion aus 200 verschiedenen Designs in vier bis sechs unterschiedlichen Farbvarianten.
Ihre Liebe gehört dem Stoff. Gemerkt hat sie das mit Mitte 20. Sie ließ sich nach dem Abitur zur Industriekauffrau in der Textilbranche ausbilden, und studierte im Anschluss Modedesign. Doch so richtig merkte sie erst dann, in Italien, dass es nicht die Mode ist, die sie reizt, sondern die Stoffe. Und mehr noch: Für Männer wollte sie produzieren lassen.
Seit 22 Jahren ist Jessica Bartling im Unternehmen Laco. Als Chefin fungiert sie offiziell seit ihre Eltern Rüdiger (78) und Elke Thumann (73) 2008 in Rente gingen. Doch noch immer sind die beiden Generationen im Austausch. „Meine Eltern sind gute Berater“, sagt Jessica Bartling. Das Unternehmen ist in sechster Hand. Laco ist die älteste Krawattenmanufaktur weltweit. Heute produzieren sie 120 000 Krawatten jährlich.
Es heißt, dass Sturmböen durch die Hansestadt tobten, als der in London geborene Charles Lavy 1837 in das Hamburger Handelsgericht trat, um seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Er registrierte seine Firma unter dem Namen Chs.Lavy und begann am 1. Januar 1838 Handel zu treiben. Lavy war ein leidenschaftlicher Geschäftsmann und wollte sich als Produzent sowie Im- und Exporteur auf dem Weltmarkt behaupten. Er erreichte Kunden in fernen Ländern wie Ägypten, Syrien oder Japan und gründete Filialen in den Metropolen Paris und London. Hamburg war der größte Handelsplatz in Nordeuropa und damit der ideale Standort für den Hauptsitz seines Unternehmens. Das Geschäft entwickelte sich explosionsartig, und die Bandbreite der angebotenen Produkte reichte von Anzügen, Wagendecken, Stöcken, Schirmen und Bettwäsche bis hin zu Knöpfen. Die heutige Krawatte kam in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts in Mode. Von 1872 an war Lavy der wichtigste Krawattenproduzent in Deutschland. Im Jahre 1906 hatte das Unternehmen über 500 Angestellte. Nach dem Krieg konzentrierte sich die Produktion auf die Herstellung von Krawatten. Damals gab es noch viele Produktionsstätten, heute gibt es nur noch zwei in Deutschland. Laco ist eine.
Gerade erst wurde der Modedesigner Guido Maria Kretschmann als „Krawattenmann des Jahres 2015“ ausgezeichnet. Frühere Preis- und damit Krawattenträger sind Willy Brandt, Roy Black, Günther Jauch, Götz Alsmann (2004), oder Jan Delay (2012). Kretschmann trägt gerne Krawatte. Für ihn sei die Krawatte ein wichtiges Accessoire und Hauptakteur für die Garderobe eines Mannes. „Ein Accessoire, das bleiben wird“, so der 50-Jährige. Davon ist auch Jessica Bartling überzeugt.
Aber: Die Krawatte ist nicht mehr so gefragt wie früher. Viele Geschäftsleute verzichten ganz auf das Modeaccessoire. Die letzten drei bis vier Jahre waren hart, einige Mitbewerber brachen weg. Doch es geht bergauf. Auf der italienischen Herrenmesse Pitti Uomo trugen die Männer zuletzt wieder Krawatte, erzählt Jessica Bartling. Ein gutes Zeichen für die Branche. „Ich denke, es wird aber nie so werden, wie es einmal war“, so die Unternehmerin. 1973 noch wurden in Deutschland etwa 40 Millionen Krawatten verkauft, 1991 waren es nur noch 21 Millionen Stück, 2003 war der Tiefpunkt mit knapp zehn Millionen. 2006 waren es wieder 14 Millionen.
Der Beruf der Krawattennäherin stirbt aus. Doch Jessica Bartling würde sie noch ausbilden, würde sich eine bewerben. Das hat aber seit Jahren schon keiner mehr gemacht. Laco hat heute 14 Mitarbeiter. Die meisten Mitarbeiter sind Schneiderinnen. In Handarbeit machen sie aus Seide Krawatten, Schleifen und Schals, Pochettes, Einstecktücher und Kummerbunde. Ein Dutzend Arbeitsschritte bedarf es bis zur fertigen Krawatte, ungebunden natürlich. Das Herzstück der Krawatte ist die Einlage: „Unsere Einlagen sind aus Wolle mit Baumwolle. Das ist unsere Seele“, so Jessica Bartling. Die meisten Produzenten benutzen die kostengünstigere und weniger sprungelastische Polyester-Einlage. Das käme für Jessica Bartling nie infrage. Qualität ist ihr wichtig. Und: Den Unterschied fühlt die Hamburgerin sofort. Zwischen 79 und 100 Euro kostet eine Laco-Krawatte. Nicht ganz günstig. Zu günstig, findet Jessica Bartling. Ihre Krawatten richten sich nicht an die breite Masse, dennoch ist es schwer dem Preisdruck standzuhalten. Viele Unternehmen produzieren mittlerweile im Ausland, in Vietnam oder China. Laco-Krawatten aus Fernost? Das kann sich Jessica Bartling nicht vorstellen. Lieber Krawatten made in Hamburg.
In Deutschlands ältester Krawatten-Manufaktur „Laco“ werden jedes Jahr etwa 120 000 Krawatten produziert. Fotos Hopson